7 unbequeme Wahrheiten einer veränderten Geschäftswelt
Früher war alles besser. Ganz ehrlich - ich kann’s nicht mehr hören. Mal ganz abgesehen davon, dass es in meinen Augen nicht stimmt. War unser Leben wirklich analog besser als jetzt? War unser Leben besser, bevor wir Dinge wie Smartphones, E-Autos, Amazon oder breit ausgebaute Photovoltaik hatten?
Was es sicherlich war, ist anders. Die Welt funktionierte anders und wir waren daran gewöhnt. Doch diese Hochblüte der Innovation der letzten Jahrzehnte hat vieles auf den Kopf gestellt. Insbesondere die Geschäftswelt. Und das verursacht den Unternehmen eine Menge Probleme.
Warum ist es also, dass manche Unternehmen diese neue Geschäftswelt rocken wie noch niemand zuvor, aber die meisten Unternehmen Schwierigkeiten haben, darin zu bestehen? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns in den 7 unbequemen Wahrheiten einer veränderten Geschäftswelt.
Das sind Erkenntnisse, die wir aus Jahrzehnten der Expertise und aus dem Wissen der besten Köpfe der neuen und der alten Geschäftswelt gewonnen haben.
Wahrheit #1: Die Macht in jedem Markt hat sich von Unternehmen zu Kund:innen verlagert
Früher war es einfacher als heute, zumindest für Unternehmen. Weil Unternehmen über die Märkte entschieden haben: Sie haben festgelegt, was produziert und wie viel davon. Sie haben festgelegt, welche Funktionen diese Produkte haben und haben auch entschieden, wie sich die Produkte anhand Funktionen voneinander unterscheiden. Und die Menschen haben fleißig gekauft. Insbesondere mit dem Einsetzen des Wirtschaftsbooms in den 80er und 90er Jahren kam der Wohlstand. Und damit die Kaufkraft. Und es wurde gekauft. Es wurde alles gekauft, was nicht niet- und nagelfest war.
Das ist heute nicht mehr so, das ginge auch gar nicht mehr. Die Geschwindigkeit, mit der wir Innovationen hervorbringen, ist so groß geworden, dass Innovationen so schnell kommen, dass wir jetzt soooo viel Angebot haben. Weit mehr, als wir jemals Nachfragen haben werden. Und durch die Globalisierung bekommt man dann auch noch jedes Produkt, zu jeder Zeit, an jedem Ort. Was noch einmal zusätzlich alles auf eine Seite drängt.
Und dadurch ist etwas passiert, was jetzt vielen Probleme bereitet:
Nach Jahrhunderten von Wirtschaftstheorie wissen wir ja alle, dass das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage entscheidend ist. Und dass Märkte am besten dann funktionieren, wenn Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht sind. Aber das sind sie nicht. Nicht einmal im entferntesten annähernd. Das Angebot übersteigt die Nachfrage zwischenzeitlich in einem Ausmaß, wie es noch nie der Fall war. Und hier kommt das Problem:
Wenn etwas, das eigentlich in Balance sein sollte, so massiv auf eine Seite kippt, dann hat das Konsequenzen. Das bleibt ja nicht ohne Folgen. Und die Konsequenz aus dieser extremen Schieflage ist, dass sich die Entscheidungsmacht im Markt verlagert hat. In jedem Markt. Unternehmen geben jetzt eben nicht mehr den Ton an, jetzt entscheiden die Kund:innen. Weil sie deutlich in der Unterzahl sind.
Das Problem ist jetzt aber, dass in den meisten Märkten die Produkte so ziemlich gleich sind, sie unterscheiden sich, wenn überhaupt, auf eher untergeordneten Funktionsebenen. Für die meisten Kund:innen schaut das einfach aus wie eine riesige Masse ziemlich gleicher Produkte. Und dadurch stellt sich natürlich die Frage:
Wonach sollen sie denn auswählen, wenn es kaum Unterschiede gibt? Allein das Herausarbeiten der Unterschiede ist für die meisten Produkte bereits eine halbe Wissenschaft. Woran soll man sich orientieren? Für viele ist dann natürlich die Antwort: der Preis. Und schon geht die Preisspirale los. Willkommen Preiskampf. Von dem profitiert zwar der Kunde, aber eben nur der Kunde.
Das muss aber nicht so sein. Und dazu gibt es eben ganz ganz viele Beispiele von Unternehmen, die anders sind. Die zumindest ein anderes Ergebnis haben. Die Liste ist lang und wir kennen sie alle. Die haben etwas anders gemacht. Sie haben eines erkannt:
Wenn sich die Macht verlagert, ändern sich auch die Regeln. Und zwar alle Regeln. Weil Kund:innen eben anders denken als Unternehmen. Märkte anders einteilen. Positionierung anders funktioniert.Die Frage ist nicht mehr, was das Produkt macht. Weil sie machen sie eh alle das Gleiche. Kund:innen stellen sich jetzt die Frage, was das Produkt aus Ihnen macht. Welchen Einfluss hat es auf ihre eigene Identität, was ist für sie drin. Es geht jetzt um Bedeutung, nicht mehr um Funktionen.
Und das eröffnet uns vollkommen neue Möglichkeiten, um sich voneinander zu unterscheiden. Und schlussendlich einen funktionierenden Wettbewerbsvorteil zu entwickeln. Dazu braucht man allerdings eine neue Perspektive auf Wettbewerb. Eine neue Perspektive auf Positionierung. Aber auch eine neue Perspektive auf Strategie, Marke und auch Kund:innen selbst. Weil sie ja jetzt die Entscheidungskriterien festlegen, und nicht mehr die Unternehmen.
Und daher funktionieren diese alten Kriterien eben nicht mehr. Man gewinnt gegen den Wettbewerb jetzt anders, wobei wir auch gleich bei Wahrheit Nummer 2 sind:
Wahrheit #2: Wettbewerb wird immer weiter abseits des eigentlichen Produkts ausgetragen
Die Macht in jedem Markt hat sich von Unternehmen zu Kund:innen verlagert. Sie entscheiden jetzt und bestimmen über Kriterien, Kategorien und Unterscheidungen. Damit ist aber auch klar, dass sich die Regeln des Wettbewerbs ändern. Das geht ja gar nicht anders. Und genau das ist passiert.
Im Grunde ist die Verlagerung des Wettbewerbs vom Unternehmen bzw. Produkt hin zu Kund:innen eine Entwicklung, die man schon länger beobachtet. Das ist ja nicht neu. Im Grunde kann man bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts zurückverfolgen.
u Beginn des 20. Jahrhunderts war die industrielle Revolution die treibende Kraft. Damals konkurrierten Produktkategorien miteinander, z. B. Autos gegen Pferde. Henry Ford hat dazu einmal gesagt: Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde. Jedenfalls war das der Beginn eines beispiellosen Jahrhunderts von Innovation in rasend wachsender Geschwindigkeit.
In den 1920er Jahren gab es die erste große Welle an Wohlstand. Darum heißen sie auch die goldenen 20er Jahre. Dieser Wohlstand hat auch eine Welle des Konsums ausgelöst. Dadurch wurden auch mehr Produkte hergestellt und der Wettbewerb verlagerte sich nun innerhalb einer Kategorie. Das war die Geburtsstunde der Funktionen.
In den 50er und 60er Jahren begann die Hochphase der Werbung, die großen Mad Men kamen ins Spiel. David Ogilvy, Doyle Dane and Bernbach und noch viele mehr. Die Märkte waren zu dieser Zeit schon ziemlich dicht. Da die Produktionskapazitäten ja auch noch eingeschränkter waren als heute, haben sich die Produkte wenig unterschieden, sie hatten oftmals die gleiche Funktionalität.
Der Wettbewerb hat sich zu dieser Zeit auch vom Produkt weg verlagert, hin zu Kunden und ihren Nutzen und Erlebnissen. Die Werbung hat dabei alle Traumwelten und Klischees ausgenutzt, um einen Wahrnehmungsvorteil zu erhalten. Der, der auffällt, gewinnt. Das war der Beginn des Herausstechen-Wollens, was so viele heute auch noch versuchen.
Tja und dann kam die digitale Revolution und mit ihr Wettbewerb auf Steroiden. Die Digitalisierung und die daraus resultierende extrem hohe Innovationsgeschwindigkeit haben das Angebot-Nachfrage-Gleichgewicht pulverisiert und das hat alles verändert. Wettbewerb hat sich noch weiter vom Produkt entfernt und eine neue Dimension eröffnet: Bedeutung. Und mit ihr die Käufer-Identität. Wer wollen wir sein? Und wie hilft mir dieses Produkt dabei? Was macht es aus mir? Das sind jetzt die entscheidenden Fragen.
Und wenn die Unternehmensidentität und die Käuferidentität nicht oder nicht mehr zusammenpassen, verursacht das massive Probleme. So wie wir das im Moment am Beispiel von Tesla sehen. Tesla-Fahrer sehen sich selber gerne als mobile Vordenker und das sind sie in gewisser Weise auch. Elektroautos wurden cool, stark und ausdauernd – für viele ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Wenn dann aber der CEO und Eigentümer lautstark und aktiv rückschrittliche Politik unterstützt, dann passt das nicht zu den Vordenkern, die von einer liberalen Haltung geprägt sind. Das geht sich nicht aus. Und das führt dann zu massiven Umsatzrückgängen, selbst im Ausmaß von 90 %, wie das aktuell der Fall ist. Die Leute ziehen weiter. Dorthin, wo sie sich mit ihrer Identität als mobile Vordenker wiederfinden.
Nicht vergessen: Es geht darum, was den Menschen etwas bedeutet, wer sie als Käufer sind. Und damit sind wir auch schon bei Wahrheit Nummer 3:
Wahrheit #3: Positionierung hat nur mehr indirekt mit dem Produkt zu tun.
Der Einfluss im Markt hat sich verändert. Kund:innen entscheiden jetzt. Wettbewerb hat sich verändert. Jetzt zählt Bedeutung. Wenn sich aber Einfluss und Wettbewerb beides ändert, dann kann Positionierung nicht gleich bleiben. Das geht ja gar nicht, das wäre ja absurd. Aber wie hat sich Positionierung jetzt eigentlich verändert?
Früher haben wir Märkte anhand von Funktionen eingeteilt, mein Produkt kann das, dein Produkt kann das. So haben wir uns unterschieden. Später dann erfolgte Markteinteilung und Positionierung anhand von Nutzen. Mein Produkt bringt des, dein Produkt bringt das.
Unterscheidung erfolgte eben anhand von Produkten. Beides funktioniert aber heute nicht mehr. Dazu sind die meisten Produkte viel zu ähnlich, eine Unterscheidung fällt schwer, ist manchmal sogar beinahe unmöglich.
Aus Mangel an Alternativen entscheiden Kund:innen dann anhand des Preises. Daraus resultiert dann meist ein Preiskampf mit Abwärtsspirale und das bringt auf Dauer niemanden etwas. Weil eine Änderung im Preis schafft ja keinen Wert, sie verlagert den Wert lediglich von Unternehmen zu Kunden oder umgekehrt. Je nachdem, ob man den Preis senkt oder erhöht.
Aber was wäre, wenn es für Positionierung neue Kriterien geben würde? Die gibt es. Aber Kund:innen entscheiden anhand anderer Kriterien als Funktionen. Das wichtigste Kriterium ist Bedeutung: Was bedeutet ihnen etwas? Was ist ihnen wichtig? Anstelle den Preis zu senken, sollte man den Wert steigern, zusätzlichen Wert schaffen.
Ein Beispiel: Der Automarkt, weil wir ja vorher über Autos geredet haben: Früher war eine klassische Einteilung im Automarkt viele PS und wenig bzw. schnell und nicht so schnell. Viele PS und schnell war so eine Kombi, die vor allem viele Männer angesprochen hat. Und wenn man einen Markt so einteilt, dann sind Ferrari und Tesla in der gleichen Ecke. Beides stark, beides schnell. Aber wir wollen doch jetzt nicht wirklich glauben, dass die Kaufentscheidung entweder Ferrari oder Tesla ist?
Der Markt heute ist vielmehr eingeteilt in Bedeutungen, z.B. fortschrittlich und nicht so fortschrittlich bzw. nachhaltig und nicht nachhaltig. Und zack, sind Ferrari und Tesla in unterschiedlichen Ecken, wo sie auch hingehören. Das funktioniert übrigens genau gleich, auch wenn man den Markt anders herum einteilt zB: in Traditionell und nicht traditionell bzw. Rennsport-erfahren und nicht Rennsport-erfahren. Dann tauschen sie zwar die Ecken und Ferrari ist der Hero, aber trotzdem stehen die beiden in unterschiedlichen Ecken. So funktioniert Positionierung anhand von Bedeutung.
Und da alle Menschen unterschiedlich sind, gibt uns ein enorm großes Potenzial an Alleinstellungsoptionen. Alle sind ja keine Zielgruppe, also wird die Gesamtgruppe nach verschiedenen Bedeutungsdimensionen aufgeteilt. Und man muss eben schauen, dass man eine Bedeutung schafft, für die es eine Gruppe gibt, die groß genug ist, dass man Gewinn macht. Und diese Gruppe kann man auch über Zeit entwickeln, weil sich Menschen entwickeln. Und im Laufe der Zeit erlangen andere Dinge Bedeutung.
Und wenn man das konsequent macht, dann schafft man sich eine erfolgreiche Zukunft. Und genau darum geht’s doch eigentlich. Man muss herausfinden, was den Menschen etwas bedeutet. Denn das schafft ja Wert für sie. Womit wir auch schon bei Wahrheit Nummer 4 sind:
Wahrheit #4: Ein Geschäft ist der Austausch von Wert. Wie dieser Wert geschaffen wird, ist jetzt anders.
Jedes Unternehmen will Geschäft machen, also schauen wir uns einmal an, was Geschäft eigentlich ist. Geschäft ist der Austausch von Wert. Käufer bekommen etwas, das für sie von Wert ist – was immer das auch sein mag. Und Unternehmen bekommen dafür einen Gegenwert, meist in Form von Geld und / oder Zeit. Also im Grunde werden einfach Werte ausgetauscht.
Und das war schon immer so. Das kommt ursprünglich aus einer Zeit vor dem Geld, dort hat man einfach Waren gegen Waren getauscht und alle waren zufrieden. Da es allerdings manchmal blöd ist, immer einen Sack voller Kartoffeln zum Tauschen mitzuhaben, haben sich die Menschen irgendwann überlegt: Eigentlich wäre so ein universelles Tauschmittel schon ziemlich praktisch. Damit war das Geld geboren.
Und seither tauschen wir Wert gegen Geld, in jüngster Zeit zunehmen auch gegen Daten. In vielen Märkten ist die Auswahl mittlerweile so groß, dass sich Angebote kaum noch voneinander abheben. Für Kund:innen verschwimmen die Unterschiede, alles wirkt austauschbar. Also stellt sich für Unternehmen vor allem eine zentrale Frage:
Welchen Wert können wir schaffen, der für die Kund:innen wichtig ist, den sie aber noch nirgends bekommen? Das ist die einzige zentrale Frage für Erfolg. Jetzt werden wahrscheinlich wieder einige denken: Das geht in meiner Branche nicht. Doch es geht. Es geht in jeder Branche. Es geht sogar mit dem langweiligsten Produkt der Welt: Wasser.
Abgefülltes Trinkwasser ist wahrscheinlich das austauschbarste Produkt überhaupt. Ich meine, 2 Teile Wasserstoff, ein Teil Sauerstoff. Das ist auch schon alles. Und das ist für alle gleich. Wie spannend kann das werden? Ja, es gibt Unterschiede in der mineralischen Zusammensetzung, aber die werden die meisten Käufer:innen nicht wirklich kennen. Und natürlich spielt auch der Geschmack eine Rolle, keine Frage. Aber nach Wochen verschlossen in der Plastikflasche schmeckt man davon ohnehin nicht mehr viel. Und genau so hat der Markt auch ausgesehen.
Und dann kam Liquid Death. Für alle, die es nicht kennen: Das ist Trinkwasser in Halbliter-Bierdosen, welches hauptsächlich in Amerika vertrieben wird. Mit Heavy Metal Brandung, Totenkopf auf der Dose und dem Anspruch: Murder your thirst.
Ich glaube, die Reaktion der Branche kann man sich sehr gut vorstellen: Das wird NIE funktionieren. Und jetzt ein paar Jahre später ist Liquid Death 1,5 Mrd. US Dollar wert. Soviel zum Thema, das wird nie funktionieren.
Was haben sie gemacht? Sie haben eine Bedeutung erkannt, bzw. eigentlich den Mangel daran: Wasser trinken ist zwar lebenswichtig, aber nicht cool. Menschen trinken abends beim Ausgehen oder beim Konzert andere, meist alkoholische Sachen, weil sie um ihre eigene Identität besorgt sind. Sie wollen ja nicht die Spaßbremse mit der Wasserflasche sein.
Das müssen sie jetzt auch nicht mehr. Die Bedeutung, die Liquid Death dem Wasser hinzugefügt hat, war kein Geschmacksstoff und kein Zusatz. Es war viel wichtiger. Es ist cool. Man ist selber cool, wenn man das trinkt. Und plötzlich werden 2 Teile Wasserstoff und 1 Teil Sauerstoff begehrenswert. So begehrenswert, dass sich bereits viele den Liquid Death Totenkopf auf die eigene Haut tätowieren lassen haben. Von Trinkwasser. Das ist einmal ein Bedeutungswechsel.
Also, wenn Mike Cesario, der Gründer von Liquid Death, es mit dem langweiligsten Produkt der Welt geschafft hat, dann schafft ihr das mit euren Produkten auch. Wenn man zusätzlichen Wert schafft. Was uns auch gleich zur Wahrheit Nummer 5 bringt:
Wahrheit #5: Strategie findet nur mehr wertbasiert statt, eine Folge der Machtverlagerung.
Also, fassen wir mal die ersten vier Wahrheiten zusammen: Wir leben in einer Zeit, in der Kund:innen heute mehr Auswahl haben, als sie je brauchen oder wollen würden: Dadurch haben sich die Machtverhältnisse verschoben: Kund:innen bestimmen jetzt alleine über einen Markt. Und hier ist der Punkt: Sie fragen nicht mehr, was ein Produkt macht, weil sie in ihren Augen ohnehin alle das Gleiche machen.
Vielmehr fragen sie jetzt, was das Produkt aus IHNEN macht. Bedeutung ist das neue Kriterium für Markteinteilung. Die Zeiten, in denen Unternehmen selbst bestimmen konnten und Märkte anhand von Funktionen und Features einteilten, sind vorbei. Das ist der große Shift.
Ok, soweit so gut. Den meisten wird das eine oder andere daran ohnehin mehr oder weniger bekannt sein. Bzw. bereitet ihnen das vielleicht sogar Schwierigkeiten. Da stellt sich eigentlich nur mehr eine Frage: Was machen wir jetzt damit? Wie gehen wir mit dieser anderen Situation um?
Naja, ich mag es, Dinge einfach zu sehen, weil kompliziert werden sie dann ohnehin von selbst. Also einfach betrachtet: Wenn ein Geschäft der Austausch von Wert ist und Kund:innen dabei entscheiden, dann wird jenes Produkt gewinnen, welches den größten Wert für Kund:innen hat. Das ist eigentlich ein simples Konzept. Der, der mehr Wert bietet als der andere, gewinnt.
Investoren-Legende Charly Munger hat dieses Konzept einmal in einem Interview so beschrieben: Der einfachste Weg, das zu bekommen, was man will, ist, sich das zu verdienen, was man will. In anderen Worten: Wenn man einen Premium-Preis will, muss man zunächst ein Premium-Produkt liefern.
Ich versteh’ schon – das mag furchteinlösend klingen. Weil das ja auch bedeutet, dass man als Unternehmen damit die Kontrolle abgibt. Aber ganz ehrlich: Das ist längst so. Darum spürt man Probleme bzw. funktioniert alles jetzt einfach nicht mehr so, wie früher. Und alle, die sich bereits nach diesen neuen Regeln aufgestellt haben, gewinnen jetzt und sind vorne. Aber was heißt eigentlich, sich nach den neuen Regeln aufzustellen?
Reden wir kurz darüber, was das bedeutet: Menschen entscheiden sich für jenes Produkt oder Service, welches für sie den größten Wert bietet. Für SIE – das ist individuell. Darum bieten sich auch so viele Chancen für eine Alleinstellung, aber darüber reden wir später. Es geht also darum, was den Menschen wichtig ist. Wenn es in einem Markt um Bedeutung geht, stellen sich eigentlich immer zwei Dinge relativ schnell heraus:
1. Es gibt immer etwas, was zwar gewünscht, aber bislang noch nicht geschaffen wurde. Unser Leben entwickelt sich rasend schnell und es gibt immer Raum für etwas neues Wichtiges.
2. Obwohl eigentlich individuell, spricht diese Bedeutung dann aber immer auch eine größere Gruppe von Menschen an.
Was bedeutet das nun für Unternehmen und deren Strategie: Hört euren Kund:innen gut zu. Und findet heraus, was ihnen morgen wichtig sein könnte. Bedeutung wird nämlich ganz oft erst geschaffen.
Und findet dabei etwas, das ihr signifikant anders machen könnt als euer Mitbewerb und was euren Kund:innen eben etwas bedeutet. Daraus entsteht Wert. Und das kann, muss aber keine Funktion eures Produktes oder Services sein. Das kann auch ein disruptives Geschäftsmodell, ein neuartiges Pricing-Modell oder ganz einfach, wie ihr eure Leistung erbringt, wofür ihr steht und wie ihr mit eurem Umfeld umgeht. Und das bringt uns auch gleich zur Wahrheit Nummer 6:
Wahrheit #6: Es gibt nur zwei Wege, mehr Wert zu schaffen. Keiner hat mit dem Preis zu tun.
Es gibt kaum einen Markt, der nicht maßlos übersättigt ist. Das Angebot ist zwischenzeitlich so groß, dass es immer zumindest einen Mitbewerber gibt, der einem ähnlich ist. Aus der Perspektive der Funktionalität oder des Nutzens geht das meist auch gar nicht mehr anders. Die Produkte machen in den Augen der Kund:innen grundsätzlich das Gleiche. Sie haben folglich den gleichen Wert für sie, d.h. keines bedeutet mehr als das andere.
In so einem Umfeld ist ein Wettbewerbsvorteil eigentlich nur mehr über den Preis möglich. Das glauben zumindest viele. Stimmt aber nicht und hier ist warum: Das Problem ist, dass Ändern des Preises keinen zusätzlichen Wert schafft, es verteilt den vorhandenen Wert nur anders zwischen Käufer und Unternehmen. Senkt man den Preis, verlagert sich ein Teil des Werts vom Unternehmen zum Kunden. Erhöht man den Preis, ist es genau umgekehrt.
Aber geschaffen wird dadurch kein Wert. Nur anders verteilt. Das Produkt ist dem Käufer gleich viel wert wie vorher. Man muss nur mehr oder weniger dafür bezahlen.
Strategie bedeutet, Dinge bewusst anders zu machen, um einen einzigartigen Wert für eine Käufergruppe zu schaffen, der ihnen wichtig ist. Das kann, muss aber keine Funktion oder Produktfeature sein. Das kann ein neuer Vertriebsweg sein, ein anderes Pricingmodell oder ganz einfach die Art und Weise, wie ihr agiert, nicht was ihr macht. Das ist von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich. Aber da ALLE ohnehin keine ernsthafte Zielgruppe ist, kann man sich entscheiden. Bewusst entscheiden, etwas anders zu machen.
Was dadurch passiert, ist, dass der Wert, den ein Produkt für diese Person hat, steigt. Es wird zusätzlich Wert geschaffen, selbst wenn der Preis in geringerem Ausmaß mit steigt. Es ist dieser Person damit auch mehr wert. Besser, nicht billiger, ist die Devise für Alleinstellung.
Das war der erste Weg, mehr Wert zu schaffen. Und der zweite? Schön, dass du fragst!
Im Grunde genau das Gleiche, nur am anderen Ende der Wertschöpfung: bei Mitarbeitern und Lieferanten. Gelingt es, auch für sie mehr Wert zu schaffen, dann vergrößert sich die Wertschöpfung des Unternehmens insgesamt. In vielen Fällen sinken dadurch die Kosten in geringerem Ausmaß ab, analog zu steigenden Preisen bei kundenseitigem Wert.
Zusammengefasst: Schafft man mehr Wert für Lieferanten und Mitarbeiter auf der einen Seite und mehr Wert für Kund:innen auf der anderen Seite, dann vergrößert man die Bedeutung des Unternehmens auf beiden Seiten. Das macht Unternehmen zum einen alternativlos und zum anderen profitabel, weil dieser zusätzliche Wert auch positive Auswirkungen auf Umsatz und Kosten hat.
Wer mehr über dieses Modell der wertbasierten Strategie erfahren möchte, dem empfehle ich das Buch „Better. Simpler. Strategy“ von Felix Oberholzer-Gee, Professor an der Harvard Business School. Um mehr Wert zu schaffen, muss man anders sein, besser sein. Und nicht billiger. Dadurch gewinnt man auch an Bedeutung in den Augen der Kund:innen. Und das bringt uns zu Wahrheit Nummer 7:
Wahrheit #7: Am Ende geht es um die Bedeutung, die ein Produkt für jemanden hat.
Also, wir haben zu viele Sachen. Und dadurch, dass wir so viele Sachen haben, machen die Produkte im Grunde auch das Gleiche. Sie lassen sich kaum unterscheiden, zumindest nicht in dem, WAS sie machen. Und trotzdem gibt es Produkte, die jemanden so viel mehr Wert sind als andere. Sachen, die man niemals, absolut niemals mit etwas anderem ersetzen würde. Niemals etwas anderes kaufen.
Man braucht nur einmal mit einem iPhone-Fan darüber zu sprechen, ein Samsung Smartphone zu nehmen. Ha, viel Erfolg. Und da spielt es auch keine Rolle, ob die Kamera des Samsungs technisch vielleicht sogar besser ist oder nicht. Das wird nicht passieren, egal ob’s bessere Funktionen hat oder nicht.
Warum ist das so? Warum spielt manchmal selbst BESSER keine Rolle? Warum ist ANDERS wichtiger?
Das Zauberwort heißt: Bedeutung. Was ein Produkt macht, ist das eine. Aber welche Aufgabe es für Kund:innen erledigt, eine ganz andere Sache. Selbst wenn mehrere Konkurrenz-Produkte alle das Gleiche machen, erfüllen sie doch ganz unterschiedliche Aufgaben für deren Käufer:innen.
Weil die „zu-erledigende-Aufgabe“ etwas höchst Individuelles ist. Das können Gründe sein, warum ein spezielles Produkt BESSER für bestimmte Käufer:innen ist als ein anderes. Weil es ihren persönlichen Geschmack trifft oder etwas Bestimmtes macht oder vielleicht auch zu etwas anderem dazu passt. Oder vielleicht auch etwas nicht macht, denn beinahe immer sind Produkte mit Funktionen überladen, die nicht gebraucht werden.
Gründe, warum also ein bestimmtes Produkt besser passt als andere, gibt es viele. Es kann auch ein bestimmtes Preismodell besser passen oder ein spezieller Vertriebsweg. Es passt einfach besser, abseits des eigentlichen Produktnutzens.
Eine andere Dimension für Bedeutung ist, welchen Einfluss ein Produkt auf die Identität hat, MEINE Identität. Wer ich bin und wie es mir dabei hilft, das auszudrücken oder zu festigen. Das kann sein, wofür ein Unternehmen steht. Ob das etwas ist, das ich unterstützen möchte und deshalb Produkt A dem Produkt B vorziehe. Oder damit auch ein Zeichen setzen möchte. Oder ganz einfach zu einer bestimmten Gruppe dazugehören möchte. Auch beim Stiften von Identität gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten.
Dieser Schuss kann aber im wahrsten Sinne des Wortes auch nach hinten losgehen und Käufer:innen verjagen, wenn es nicht passt, wofür ein Unternehmen oder deren Eigentümer steht. Fragt mal einfach mal bei Tesla nach.
Eine weitere Dimension von Bedeutung ist auch, was ich persönlich mit diesem Produkt verbinde. Weil ich es immer schon gekauft habe, vielleicht ist es sogar Familientradition. Oder es war das erste, mit dem ich ein bestimmtes Problem gelöst habe. Oder ich verbinde es mit einem bestimmten Moment. Manchmal ist es auch eine Belohnung. Normalerweise nehme ich ein anderes Produkte, aber nicht heute. Heute belohne ich mich. Auch hier gibt es viele Möglichkeiten.
Aber bei keiner, absolut keiner dieser Möglichkeiten geht es darum, was das Produkt eigentlich als Kernnutzen macht. Weil das überall gleich ist.
Es geht darum, was es jemandem bedeutet. Wir bezeichnen das als Marke. Die Bedeutung, die jemand einem Produkt oder Organisation einräumt. Die Marke ist nicht das Logo, nicht das Versprechen, eigentlich nichts, was ein Unternehmen selbst sagt. Eine Marke ist, was die anderen sagen. Welche Bedeutung etwas für sie hat.
Darum geht es. Das aufzubauen ist das Ziel. Ich hoffe, diese sieben unbequemen Wahrheiten einer veränderten Geschäftswelt werden euch dabei helfen, diese Bedeutung aufzubauen. Und damit eine starke Marke zu haben.