Daten sagen einem rein gar nichts über die Zukunft

Die Geschäftswelt ist besessen von Daten. Umfragen hier, Statistiken da, und überall „Best Practices“. Dazu noch die beliebten Personas. Was haben alle diese Dinge gemeinsam? Richtig, sie basieren auf der Vergangenheit. Was wäre, wenn wir sagen, dass genau dieser Ansatz Unternehmen daran hindert, eine erfolgreiche Zukunft zu gestalten? Was, wenn wir hiermit allen Daten-Nerds widersprechen, die meinen, mit Zahlen und Statistiken die Zukunft vorhersagen zu können?

Ein Portrait von Axel Schwarz, Markenarchitekt, Workshopper Master, mut. Büro für Geschäftsdesign
„Um die Zukunft zu gestalten, ist der Blick in die Vergangenheit nur bedingt hilfreich.“

– Axel Schwarz, Markenarchitekt, Workshopper Master, mut. Büro für Geschäftsdesign

Das Maximum, was man mit Zahlen aus der Vergangenheit machen kann, ist eine Wahrscheinlichkeit eines Ergebnisses zu berechnen, wenn sich ein Ereignis mit denselben Vorzeichen wiederholt. Das hat aber nichts mit der Gestaltung der Zukunft zu tun!

Natürlich sollten Unternehmen aus der Geschichte lernen. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist extrem wichtig. Dennoch versuchen fast alle mit Umfragen und Datenerhebungen Personas zu entwickeln, denen sie dann ihre zukünftigen Produkte andrehen wollen.

Henry Ford erkannte dieses Problem bereits vor über 100 Jahren:

Ein Portrait von Henry Ford, Erfinder und Automobilpionier, Ford Motor Company
„Hätte ich die Menschen gefragt, was sie wollen, hätten sie gesagt ‚schnellere Pferde‘.“

– Henry Ford, Erfinder und Automobilpionier, Ford Motor Company

Es geht darum, auf einer menschlichen Ebene zu verstehen, was potentielle Kunden antreibt. Was sind ihre Wünsche, ihre Bedürfnisse und am wichtigsten: Welche Bedeutung messen sie einem Angebot bei?

Das Problem der datengetriebenen Strategieentwicklung

Die meisten Unternehmen tappen in die Datenfalle. Sie erstellen aufwendige Käufer-Personas basierend auf vergangenen Käufen, Markt- bzw. Branchentrends, führen Umfragen durch und hoffen, daraus die Bedürfnisse ihrer zukünftigen Kunden ableiten zu können.

Dieser Ansatz hat einen fundamentalen Fehler: Er geht davon aus, dass Menschen rational entscheiden und ihre Bedürfnisse klar artikulieren können. Menschen wissen oft nicht, was sie wirklich wollen. Besonders dann nicht, wenn es um Innovationen geht, die ihre Welt grundlegend verändern könnten.

Noch problematischer: Auf Grundlage von erhobenen Daten entwickelte Funktionen, die eine rein rationale Entscheidungsfindung bedienen sollen, sind meistens eben nicht die entscheidenden Faktoren für einen Kauf.

Der rationale Verstand trifft nicht die Kaufentscheidung

Harvard-Professor Gerald Zaltman hat in seiner Forschung nachgewiesen, dass 95% unserer Kaufentscheidungen im Unterbewusstsein stattfinden.1 Auch wenn wir es uns nicht eingestehen wollen: Der rationale Verstand spielt eine deutlich kleinere Rolle als gedacht.

„Den Fokus rein auf rationale Kaufgründe zu legen führt nicht zum Erfolg, nur zu austauschbaren Angeboten.“

– Axel Schwarz, Markenarchitekt, Workshopper Master, mut. Büro für Geschäftsdesign

Viele Verbraucher behaupten, verschiedene Marken und Preise zu vergleichen, doch Beobachtungen zeigen: Sie schauen oft nicht einmal auf Alternativen zur bereits gewählten Marke. Funktionen und Datenblätter nutzen wir erst im Nachhinein, um unsere bereits unterbewusst getroffene Entscheidung zu rechtfertigen.

Das Ergebnis? Austauschbare Produkte, die sich nur in marginalen Details unterscheiden und in einem endlosen Preiskampf gefangen sind.

Geschäftsentwicklung optimiert den Ist-Zustand

Geschäftsentwicklung akzeptiert das bestehende Marktumfeld. Sie arbeitet mit den gegebenen Wettbewerbern, den bekannten Kundensegmenten und den etablierten Spielregeln. Das Ziel: innerhalb dieser Grenzen besser zu sein als die Konkurrenz. Mehr Effizienz, niedrigere Kosten, besserer Service.

Dafür eignen sich Daten aus der Vergangenheit auch hervorragend! Die Wirksamkeit einer Maßnahme lässt sich messen, Prozesse können optimiert und Schwachstellen identifiziert werden. Wenn das Spiel bereits definiert ist, helfen historische Daten dabei, es besser zu spielen. Geschäftsentwicklung akzeptiert die Spielregeln.

Geschäftsdesign gestaltet die Zukunft

Geschäftsdesign bietet einen fundamental anderen Weg. Statt auf Vergangenheitsdaten zu setzen, gestaltet es aktiv die Zukunft.

Geschäftsdesign ist die strategische Entwicklung oder Transformation eines Unternehmens mit den Methoden aus Design Thinking, Innovationsmanagement und Systemdenken. Es geht darum, Geschäftsmodelle, Produkte und Services konsequent kundenzentriert, iterativ und interdisziplinär zu gestalten – mit dem Ziel, nachhaltige Differenzierung und Wert zu schaffen.

Während Geschäftsentwicklung primär auf Analyse, Benchmarking und Optimierung setzt, nutzt Geschäftsdesign unter anderem Methoden wie Kund:innendesign, Wertdesign und Wettbewerbsdesign. Geschäftsdesign schreibt die Spielregeln komplett neu.

Geschäftsdesign ist deutlich umfassender als die drei folgenden Teilbereiche. Im Kontext unserer Kritik an datengetriebenen Zukunftsansätzen fokussieren wir uns jedoch auf jene drei Aspekte, die am deutlichsten zeigen, inwieweit moderne Ansätze aus dem Design Thinking überlegen sind:

1. Kund:innendesign statt Personas

Der erste konzeptionelle Unterschied liegt im Umgang mit der Zielgruppe. Anstatt Käufer-Personas aus Vergangenheitsdaten zu rekonstruieren, konzentriert sich Geschäftsdesign auf das Design der/des idealen Kund:in.

Dieser Ansatz basiert auf Marty Neumeiers „Customer Zero“ (Kund:in Null) und wird von Level C in ihren Masterclasses gelehrt.2 Die Grundidee: Anstatt anhand vergangener Daten eine durchschnittliche Person zu beschreiben, werden bewusst die Eigenschaften, Werte und Verhaltensweisen der/des idealen Kund:in entworfen.

Diese Person existiert möglicherweise noch gar nicht in der realen Welt. Genau das ist der Punkt. Das gesamte Konzept basiert darauf, einen Kund:innen-Prototypen zu gestalten, für den das zukünftige Angebot alternativlos sein soll.

Und nein, das ist kein reines Wunschkonzert. Hierbei wird versucht, eine möglichst große Übereinstimmung zwischen dem eigenen Angebot und potentiellen Kund:innen herzustellen. Jene Art von Kund:innen, die das Angebot dann als besonders wertvoll betrachten und ihm eine höhere Bedeutung beimessen als Konkurrenzangeboten.

Es mag ähnlich klingen wie eine Persona zu entwickeln, der konzeptionelle Unterschied ist aber fundamental: Personas reagieren auf das, was war. Kund:innendesign gestaltet das, was sein soll. Während Personas auf die Frage „Wer waren unsere Kunden?“ antworten, adressiert die/der Kund:in Null die Frage „Welche Art von Kund:in wird in Zukunft unserem Angebot einen hohen Wert beimessen?“

Die/der Kund:in Null fungiert dann als Ausgangslage für die gesamte Zielgruppenentwicklung.

2. Wertdesign statt USP

Der zweite konzeptionelle Unterschied betrifft die Verkaufsargumentation. Das Konzept der Unique Selling Proposition, also dem Alleinstellungsmerkmal. Alleinstellung ist wichtig! Überlebenswichtig sogar. Aber das Konzept des USP basiert zumeist auf Funktionen oder dem Preis. Dieser Ansatz ist nicht nur überholt, er verhindert echte Differenzierung.

Modernes Geschäftsdesign konzentriert sich auf Wertdesign: die bewusste Entwicklung eines Systems aus Werten für Kund:innen und Unternehmen. Dieses Konzept basiert unter anderem auf Alexander Osterwalders Arbeit zum Value Proposition Design.3

Eine Wertaussage ist keine Liste von Funktionen, sondern eine Aussage, die emotional resoniert. Sie beantwortet nicht die Frage „Was kann unser Produkt?“, sondern „Welchen Wert schafft es im Leben unserer Kund:innen?“ Idealerweise ist das ein Wert, den die Kund:innen nirgendwo anders bekommen. Stichwort: Alternativlos.

Das Wertdesign geht konzeptionell noch weiter: Es schafft ein beidseitiges System aus Werten. Das bedeutet, dass nicht nur das Unternehmen Werte für den Kunden schafft, sondern der Kunde durch sein Verhalten und seine Entscheidungen auch Werte für das Unternehmen und die Gemeinschaft generiert.

Ein Beispiel: Apple verkauft nicht Computer mit besseren technischen Spezifikationen. Apple verkauft die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft von Kreativität und anderem Denken. Der Kunde wird Teil eines Wertesystems, das weit über die reine Produktfunktion hinausgeht.

3. Wettbewerbsdesign statt reaktives Konkurrenzverhalten

Der dritte konzeptionelle Ansatz, den wir in diesem Rahmen vorstellen wollen, ist vielleicht der radikalste: Die Einteilung von Märkten nicht nach Funktionen, sondern nach Bedeutungen.

Traditionelle Positionierung findet häufig auf der Ebene von Funktionen und Preisen statt. Unternehmen versuchen, etwas schneller, billiger oder mit mehr Funktionen anzubieten als die Konkurrenz. Das Ergebnis ist ein endloses Wettrüsten, bei dem am Ende alle Anbieter austauschbar werden.

Wettbewerbsdesign durchbricht diesen Kreislauf konzeptionell, indem es zur Positionierung nicht Funktionen und Preise verwendet, sondern die Bedeutung(en), die ein Angebot für seine Kund:innen hat. Es geht darum, einen sogenannten Freiraum im Markt zu identifizieren oder zu schaffen, in dem man der Konkurrenz dauerhaft überlegen ist. Entweder weil die Konkurrenz diesen Raum für sich nicht beanspruchen kann oder will.

Das kann sogar soweit führen, dass man eine völlig neue Kategorie schafft. Eine Kategorie, die in den Köpfen der Kund:innen noch nicht von einem Mitbewerber besetzt ist. Anstatt besser zu sein als die Konkurrenz, macht es die Konkurrenz irrelevant. Und zwar dauerhaft.

Ein griffiges Beispiel ist der Automarkt. Teilt man den Markt zum Beispiel nach „sportlich / nicht-sportlich“ und „luxuriös / nicht-luxuriös“ ein, dann sind Hersteller wie Ferrari und Tesla direkte Konkurrenten. Tatsächlich könnten die Käufer dieser Marken aber kaum unterschiedlicher sein.

Teilt man den Markt aber nach der Bedeutung für die Kund:innen ein, sieht das schon ganz anders aus. Für Teslas Kund:innen zählt die Umweltfreundlichkeit und die Fortschrittlichkeit. Für Kund:innen von Ferrari haben die Tradition und Rennsporterfahrung eine entscheidende Bedeutung. Womit sich erklären lässt, warum Tesla und Ferrari keine echten Konkurrenten sind.

Die konzeptionellen Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis

Diese drei exemplarischen Ansätze haben konkrete Auswirkungen auf die Art, wie Unternehmen eine erfolgreiche Zukunft gestalten können:

Das Kund:innendesign verändert den gesamten Entwicklungsprozess. Anstatt bestehende Zielgruppen anhand vergangener Daten zu analysieren, entsteht ein klares Bild der/des Kund:in Null, an dem sich alle Unternehmensaktivitäten orientieren. Die Frage verschiebt sich von „Wer hat in der Vergangenheit bei uns gekauft und was können wir noch verkaufen?“ zu „Welche Art von Kund:innen passen zu uns und dem Wert, den wir bieten können?“

Das Wertdesign verschiebt den Fokus von der auf Produktnutzen basierten Kommunikation hin zur Schaffung von relevantem Wert für Kund:innen. Es geht nicht mehr darum, was hergestellt und verkauft werden kann, sondern welchen Wert Kund:innen in einem Angebot sehen. Die gesamte Geschäftsentwicklung orientiert sich an der Wertschöpfung, nicht an der Funktionserweiterung.

Das Wettbewerbsdesign befreit Unternehmen aus dem Hamsterrad des Wettbewerbs um die neuesten Funktionen. Anstatt auf Mitbewerber zu reagieren, werden aktiv neue Bedeutungskategorien geschaffen. Das Unternehmen definiert die Spielregeln des Marktes neu, anstatt nach den bestehenden Regeln zu spielen.

Warum Daten trotzdem wichtig sind und bleiben

Alles, worüber wir in diesem Artikel gesprochen haben, sagt aber nicht aus, dass Daten unwichtig sind oder werden! Sie bleiben essentiell für die Erfolgsmessung und Optimierung bestehender Prozesse. Daten sind das Werkzeug, um zu verstehen, ob die gestaltete Zukunft tatsächlich eintritt.

Der entscheidende Unterschied liegt in der Perspektive: Anstatt von Vergangenheitsdaten auf die Zukunft zu schließen, nutzt Geschäftsdesign Design Thinking als Methode. Dieser iterative Prozess beinhaltet die Entwicklung von Ideen bzw. Hypothesen, das schnelle Prototyping und das direkte Testen an der Zielgruppe.

Daten werden nicht mehr zur Vorhersage genutzt, sondern zur Validierung. Die Frage ändert sich von „Was sagen uns die Daten über die Zukunft?“ zu „Bestätigen die Daten unsere Hypothese über die Zukunft?“

Aber Daten an sich beschreiben immer die Vergangenheit und lassen nicht den belastbaren Schluss auf die Zukunft zu, wie sie es suggerieren. Für die Gestaltung der Zukunft braucht es mehr als Zahlen aus der Vergangenheit.

Von der Betrachtung der Vergangenheit zur Gestaltung der Zukunft

Die Zeit der datengetriebenen Personas, funktionsbasierten USPs und reaktiven Wettbewerbsstrategien geht zu Ende. Unternehmen, die auch in Zukunft erfolgreich sein wollen, müssen lernen, ihre Kund:innen zu designen, einzigartige Werte zu schaffen und ihren Wettbewerb so zu gestalten, dass die Konkurrenz irrelevant wird.

In einer Welt, die sich immer schneller verändert, wird die vermeintliche Sicherheit von Vergangenheitsdaten zu einer echten Gefahr. Unternehmen, die sich nur auf Daten aus der Vergangenheit verlassen, optimieren für eine Welt, die bereits nicht mehr existiert.

Die Zukunft gehört nicht denen, die die Vergangenheit am besten analysieren können. Sie gehört denen, die sie am aktivsten gestalten.

Quellen

  1. Zaltman, Gerald. (2003). How customers think: Essential insights into the mind of the markets. Harvard Business School Press. https://www.hbs.edu/faculty/Pages/item.aspx?num=11643
  2. Neumeier, Marty. (2015). The brand flip: Why customers now run companies—and how to profit from it. New Riders. https://www.pearson.com/en-us/subject-catalog/p/the-brand-flip/P200000002343/9780134172811
  3. Osterwalder, Alexander., Pigneur, Yves., Bernarda, Gregory., & Smith, Alan. (2014). Value Proposition Design: How to Create Products and Services Customers Want. Wiley. https://www.wiley.com/Value+Proposition+Design%3A+How+to+Create+Products+and+Services+Customers+Want-p-9781118968055